Phoebe Müller: Gejagte

Leseprobe


Das erste Mal war aufsehenerregend gewesen. »Ich schicke dich jetzt auf eine erotische Reise«, hatte er mir ins Ohr geflüstert und im sanft abgedunkelten Raum seine Seile geordnet. Er nahm die typische Anspannung der ersten Intimitäten hinweg, indem er von Beginn an Anweisungen gab. Wie ich mich zu legen hatte, welchen Arm zu heben, wie mich zu drehen, wie die Beine zu spreizen. Ich hatte nichts zu tun, als mich auszuziehen. Es war eine Orgie der Passivität, wie ich es immer geliebt hatte. Nichts zu tun, als mich hinzugeben, die Verantwortung abzugeben und einfach entspannen zu können wie bei einer schönen Massage.

               

Seine Hände auf meinem Körper, die Seile, die über meine Haut strichen, um dann fester oder sanfter angezogen zu werden. Glatte Seile, raue Seile. Eine seidige Augenbinde trennte mich von der Außenwelt und ließ mich in ein Spürdelirium gleiten. Dazwischen stimulierte er mich mit Zunge und Fingern, küsste mich, ließ mich seinen Schwanz spüren. Nach schier endlosen Stunden fickte er mich, während ich halb stehend, halb schwebend an eisernen Haken von der Decke hing. Hinterher ölte er mir die Hand- und Fußgelenke mit einem besonderen japanischen Öl ein, damit keine unansehnlichen Spuren zurückblieben. Mein Körper fühlte sich formlos, konturlos und befreit an.

 

Ich verstand zum ersten Mal, was es heißt »ich war Wachs in seinen Händen«, auch wenn ich diese Phrase in Romanen immer unsäglich fand. Aber hier war es passend. Ich hatte ein paar Stunden Zeit gehabt, mich langsam zu meinem Orgasmus aufzuschwingen. Er hatte weder gedrängt noch forciert, aber technisch versiert dafür gesorgt, dass es passierte. In seinen Augen sah ich, dass er stolz darauf war und dass er um seine Talente wusste. Umso besser. Es gab nichts, was mich mehr aphrodisierte als ein gesundes Selbstbewusstsein.

 

 

Es war seltsam, wie viel Zärtlichkeit in einer Fesselung stecken konnte, auch wenn die Seile sich um die Kehle schlangen, schmerzhaft zwischen die Beine schnitten oder ein taubes Gefühl in den Gliedmaßen verursachten. Wie geborgen ich mich fühlte, während er seine kunstvollen Knoten um mich zog wie eine Spinne, die ihre Beute einwickelt. Es kam zwar vor, dass es mir zu lange dauerte, bis unser Ritual in ein ernsthaftes sexuelles Miteinander mündete, dass meine Erregung ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte, bevor er vom Seilkünstler zum Mann wurde, aber das schien mir unbedeutend. Es wurde nichts von mir verlangt, als mich hinzugeben, und das war wunderbar und befreiend.


Wir sind seit einigen Jahren zusammen, wir haben noch Sex, das will etwas heißen. Zumindest sagt man mir das. Ich lasse zu, dass seine Finger über meinen Körper wandern, dass er meine Brüste umfasst, besitzergreifend und herrisch. Sein angefeuchteter Finger bereitet mich vor, auch das lernt man mit den Jahren, dass die Dinge sich nicht einfach so ergeben, dass es einer gewissen Finesse bedarf, eines Wissens. Er berührt mich so, wie ich es mag, er drückt sich an mich, sein Finger kreist in meiner Mitte, sacht, aber zielstrebig, er drückt seine Härte an mich. Doch erst, als er mir kleine Gemeinheiten ins Ohr flüstert, mir drastisch schildert, was er gleich zu tun gedenkt, erst dann reagiere ich. So ist das. Jeder hat seinen Kick. Ich mag schmutziges Gerede, ohne Reden läuft bei mir nichts. Dafür bin ich ihm dankbar, dass ihm die haarsträubendsten Sauereien ganz locker über die Lippen kommen und dass er nicht einer von denen ist, bei denen man erst merkt, dass es ihm gekommen ist, wenn es einem die Beine hinunterläuft. Er stöhnt, grunzt und schreit, dass ich stets weiß, auf welchem Erregungslevel er sich gerade befindet. Und dennoch ist es nicht genug.

               

Als er mit mir fertig ist, als er es mir ausgiebig und derb von der Seite gemacht hat, wie man es morgens gerne so macht, mein Haar nach hinten gezogen, was mich an Pferd und Reiter erinnert, und wir noch eine Weile so in unseren Säften liegen geblieben sind, geht er ins Bad. Der Gang drahtig und beschwingt. Ich höre ihn pfeifen.

 

Ich pfeife nicht, ich sehe der Sonne zu, die ihre Kringel auf die Decke malt, das wird sie einige Stunden so tun. Starken Kaffee werden wir trinken, vielleicht wird es Eier geben, Brötchen. Wir werden den Tag in zarter Vertrautheit verbringen, es am Nachmittag vielleicht noch einmal treiben, dann werde ich nach Hause gehen, die Straßenlaternen werden meinen Heimweg beleuchten.

 

Mit einem Mal weiß ich, dass ich das nicht mehr ertragen kann. Ich schlage die Decke auf und der Sonne ihre Kringel zur Seite, ziehe mich notdürftig an, von Weitem rieche ich bereits den Kaffee. Kurz zupfe ich mein Haar zurecht, werfe einige Dinge in meine Tasche, ich sehe mich nochmals um, das Bett, das Zimmer, höre den Mann von Weitem pfeifen und ziehe die Tür hinter mir zu.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke